Lola rennt ist kein Blockbuster - oder
etwa doch? Der ungewöhnliche Experimentalspielfilm war im Inland und Ausland an der Kinokasse und in der
medialen Rezeption sehr erfolgreich (nachzulesen auf filmportal.de: "Run, Lola, Run: Die Karriere eines Films"). Deutsche Produktionen galten zuvor im
Ausland meist als "Kassengift" - bis "Run Lola Run" vor zwanzig Jahren fast sieben Millionen Dollar in den
USA einspielte und auf dem Sundance Film Festival als bester ausländischer Film mit dem Publikumspreis
ausgezeichnet wurde (World Cinema Audience Award: Dramatic 1999). Dabei lief der Film in den USA nicht in
einer synchronisierten Fassung sondern mit englischen Untertiteln.
In Deutschland konnte sich der Film monatelang neben US-Blockbustern und heimischen Beziehungskomödien auf
den vorderen Plätzen der deutschen Kinocharts halten. Lola
rennt also doch ein Blockbuster?
Die Analyse von erfolgreichen Spielfilmen, sogenannten Blockbustern, hat ergeben, dass bestimmte
Charaktertypen immer wieder auftauchen. Der Drehbuchautor Christopher Vogler hat eine Typologie dieser
Charaktere erstellt, auch Archetypen genannt. Archetypen haben ganz bestimmte Charaktereigenschaften
und Funktionen für die Geschichte. Der bekannteste Archetyp ist vermutlich der Held, der
normalerweise jedoch nicht allein agiert, sondern im Verlauf der Filmhandlung mit anderen Archetypen
zusammentrifft. Dabei müssen in einem Film nicht immer alle Archetypen eine Rolle spielen. Manche Archetypen
tauchen gar nicht auf oder werden mit anderen Archetypen vermischt. In vielen Mainstream-Spielfilmen gibt es darüber hinaus ein bestimmtes Handlungsmuster bei dem
sich der Held oder die Heldin auf eine sogenannte Heldenreise begibt (manchmal auch Quest genannt), das durch typische
Situationsabfolgen und archetypische Figuren gekennzeichnet ist.
Der Held ist die Hauptfigur der Handlung. Allermeist ist der Held oder die Heldin so gezeichnet, dass der Zuschauer Sympathien für ihn oder sie entwickelt oder sich gar mit ihm oder ihr identifiziert. So ist er beispielsweise meist bereit, sich für andere zu opfern. Der Held durchläuft in der Regel eine Wandlung im Film, häufig hervorgerufen durch Lernprozesse. Diese Wandlung bringt letztlich die Filmhandlung voran.
Der Mentor wird in der Filmhandlung dem Helden zur Seite gestellt. Er wird in der Regel (aber durchaus nicht immer) positiv charakterisiert und leitet den Helden an, indem er ihn ausbildet oder bei den Prüfungen unterstützt, die der Held zu bestehen hat. Manchmal besteht seine wichtige Funktion auch darin, dem Helden Dinge zu geben, die er für die Bewältigung einer Aufgabe braucht, z. B. Waffen, Einsichten oder Informationen. Dabei ist der Mentor meist keineswegs von sich aus freigiebig; vielmehr muss der Held die Gaben des Mentors aktiv erwerben, indem er z. B. ein Versprechen ablegt oder eine tiefere Einsicht gewinnt.
Der Trickster ist der oft lustig, manchmal gar trottelig gezeichnete Begleiter des Helden. Seine Aufgabe ist es, entspannende Komik in die Handlung einzubringen oder aber durch von ihm begangene Fehler die Geschichte voranzubringen.
Der Herold kann eine positiv oder negativ gezeichnete Figur sein, die den Helden zu seinen Taten motiviert. Er steht für Veränderung und reißt den Helden aus seinem gewöhnlichen Leben, indem er ihn vor eine neue Herausforderung stellt.
Der Schatten ist der Gegenspieler des Helden, der das Scheitern oder gar den Tod des Helden anstrebt. Er wird so zur entscheidenden herausfordernden Instanz für den Helden, dem er im Laufe der Filmhandlung immer wieder Hindernisse in den Weg legt: Der Held muss sich letztlich dem Schatten stellen und ihn besiegen. In manchen Fällen offenbart sich ein Charakter auch erst am Ende des Films als Schatten.
Die Funktion des Schwellenhüters besteht darin, den Helden daran zu hindern, eine Schwierigkeit auf seinem Weg zu bewältigen und ihn so am Voranschreiten zu hindern. So ist er letztlich dazu da, die Stärke des Helden zu prüfen. Er wirkt in der Regel furchteinflößend. Obwohl er sich gegen den Helden stellt, ist er im Gegensatz zum Schatten nicht der eigentliche Gegenspieler.
Der Gestaltwandler ist eine für den Helden undurchsichtige Figur, die ihre wahren Absichten vor ihm verbirgt. Dieser Charakter, der oft das entgegengesetzte Geschlecht des Helden hat, hilft dem Helden mal, mal hintergeht er ihn. Er bereichert die Filmhandlung durch die Aspekte der Ungewissheit und des Zweifels und dient so der Spannung.
Quelle: Christopher Vogler: Die Odyssee des Drehbuchschreibers. Frankfurt/M.: Zweitausendeins 1997
Abb. 2: Die Archetypen konstituieren sich meist schon gleich zu Beginn des Spielfilms, der in der Regel nach dem Muster einer Heldenreise funktioniert. Wie der Beginn der Reise typischerweise verläuft, hat Schillinger skizziert. (Grafik verändert nach Schillinger, 2006).